Über einige Strafmaßnahmen im Hundetraining
Schon seit meiner Geburt leben Hunde in unserer Familie. Bis zu meinem heutigen Wissensstand war es jedoch ein langer und steiniger Weg. Auf diesem Weg haben mich bedauerlicher Weise auch der Leinenruck, die Rappeldose, Discs (verwendet, um auf Hunde geworfen zu werden), Wurfketten, die Wasserspritzpistole und das Würgehalsband begleitet. Darüber hinaus konnte ich bei verschiedenen Hundetrainern schon häufig Trainingselemente wie das „Lauter-Werden“, das Anzischen und das Zwicken von Hunden beobachten. Je mehr Wissen ich rund um das Thema Hund erlangt habe, umso weiter habe ich von diesen Trainingsmaßnahmen Abstand genommen. In diesem Blogeintrag möchte ich dazu Stellung nehmen, warum derlei Strafmaßnahmen nicht zu meiner Art des Hundetrainings gehören.
Teil A: Kurz und knapp - Warum ich nicht auf diese Art und Weise arbeite
Erstens: Die oben genannten Strafmaßnahmen erzeugen beim Hund Angst oder Frustration. Beides hat Folgen. Der Hund ist gestresst. Zwar ist Stress pauschal nichts Schlechtes, da der Hund im Alltag lernen muss, damit umzugehen. Chronischer Stress macht allerdings krank und verkürzt schlimmstenfalls die Lebenszeit Ihres Hundes.
Wir selbst kennen die Folgen von Stress nur zu gut und sind als Menschen wie unsere Hunde Säugetiere.
Zweitens: Frustrieren oder ängstigen wir den Hund durch solche Trainingsmaßnahmen, steigt sein Erregungsniveau an - er wird aufgeregter. Eine Folge dieser Aufregung ist eine steigende Reaktivität. Das betrifft u.a. das Aggressionsverhalten, das somit intensiviert werden kann. Statt Drohverhalten wird z.B. tatsächlich gebissen.
Drittens: die Strafmaßnahmen zielen darauf ab, Verhalten zu hemmen und nicht darauf, ein Alternativverhalten aufzubauen. Wir können Verhalten nicht einfach in ein schwarzes Loch „verbannen“ und erwarten, dass der Hund dann „nichts" tut. Wir müssen uns vielmehr überlegen, welches Alternativverhalten an dessen Stelle rücken soll - irgendwie muss sich der Hund schließlich verhalten. Welches Verhalten daraus resultiert, lässt sich durch wegstrafen allein nicht steuern, was somit zu neuen Problemen führen kann.
Viertens: Es kann alles, was während der Strafmaßnahme in der Umwelt ist, beim Hund mit der unangenehmen Erfahrung verknüpft werden. Dazu gehören Artgenossen, Menschen, Orte, Gerüche und vieles mehr.
Beispiel: Der Hund bellt den Besuch an und wird mit einer Wasserflasche bespritzt. Er hört auf zu bellen. Was hat der Hund gelernt?
- Besuch bedeutet, ich werde nass gespritzt und daher sind Besucher schlecht für mich, oder
- wenn Besuch kommt, ist meine Bezugsperson „böse“ zu mir, oder
- Wasserfalschen sind gefährlich
Welches Verhalten könnte er in (naher oder ferner) Zukunft zeigen?
- Besucher werden schneller aggressiv abgewehrt, denn sie bringen nichts Gutes
- die Bezugsperson wird gemieden, denn sie ist potentiell gefährlich
- Wasserflaschen werden aggressiv abgewehrt, denn sie birgen Gefahr
Was der Hund nicht lernt: Besuch ist toll, ich mag Besuch und freue mich auf ihn.
Fünftens: Vermischen sich zudem diese Strafmaßnahmen mit Lob, wird der Mensch für den Hund ganz und gar unberechenbar. Stellen Sie sich vor, Sie laufen mit der Gewissheit durch den Park, dass Sie hinter der nächsten Ecke entweder überfallen werden, oder ein Geschenk erhalten. Leider wissen Sie nicht, was Ihnen blüht oder wie Sie die Situation beeinflussen können - Sie fühlen sich völlig hilflos. Eine solche Hilflosigkeit kann auch ein Hund erlernen und führt „bestenfalls“ zu einem unglücklichen „braven“ Hund, im schlimmsten Fall jedoch zu schwerwiegenden Problemen - mehr dazu in Teil B.
Teil B: Zum Weiterlesen für Wissbegierige
Lerntheoretischer Hintergrund
Zunächst soll ein kleiner Ausflug in die Lerntheorie das Thema vertiefen. Es gibt vier Konsequenzen auf ein Verhalten. Fokus dieses Artikels ist die positive Strafe. Der Begriff „positiv“ ist dabei mathematisch zu verstehen. „Positiv“ bedeutet es kommt etwas hinzu (addieren).
Positive Strafe bedeutet, es wird etwas Unangenehmes hinzugefügt, um ein Verhalten zu hemmen. Ziel ist, dass das Verhalten seltener gezeigt wird, da der Hund dieser Strafe entgehen möchte.
Beispiel: Der Hund gibt ein Spielzeug nicht auf Signal aus und man schlägt ihm als Konsequenz auf die Nase.
Lerntheorie und Lernalltag
Lerntheoretisch ist es also möglich, ein Verhalten durch Strafe zu hemmen. Es wird immer kürzer, weniger intensiv, kommt erst später und seltener. Warum also nicht so mit Hunden arbeiten?
Wie in Teil A bereits erläutert müssen wir uns immer über zwei Dinge im Klaren sein.
Erstens: Ein Hund kann sich nicht „nicht verhalten“. Wenn wir das eine Verhalten hemmen, entsteht daraus unweigerlich ein anderes Verhalten.
Statt Verhalten positiv zu bestrafen, ist der Schlüssel zum Erfolg ein Alternativverhalten gezielt und positiv aufzubauen.
Zweitens: Die positive Strafe ist Teil der Lerntheorie. Diese ist unter Laborbedingungen entstanden. Im Alltag hilft sie uns zu verstehen, warum ein Hund ein Verhalten häufiger oder seltener zeigt. Allerdings dürfen wir im täglichen Training etwas Elementares nicht vergessen: die Umwelt, mit ihren vielen Reizen, die sich ebenfalls auf das Lernen auswirken. Niemand kann ausschließen, dass die Bezugsperson, die Situation, der Ort, anwesende Personen oder Tiere ebenfalls mit der positiven Strafe verknüpft werden und das zukünftige Verhalten des Hundes beeinflussen.
Beispiel: Der Hund wird mit einem Schlüssel beworfen, sobald er einen anderen Hund anknurrt. Was denken Sie, wie der Hund den anderen Hund zukünftig empfindet? Was wird er dabei lernen? Wie können Sie sicher gehen, dass Sie nur das Knurren hemmen und nicht den Artgenossen als potentiell gefährlich für Ihren Hund einstufen. Der Hund lernt schließlich, dass er mit einem Schlüssel beworfen wird, sobald ein anderer Hund da ist. Möglicherweise gelingt es dann zwar, das Knurren zu unterdrücken, allerdings wird sich die Emotion des Hundes gegenüber Artgenossen vermutlich nicht zum Positiven verändern.
Wenn es Ihr Ziel ist, dass der Hund vor dem Schlüssel zurückweicht und sich erschreckt, fördern Sie Meide- und Angstverhalten. Es gilt vorsichtig damit zu sein, Angst zu fördern, da Angst in Aggression umschlagen kann. Dies ist insbesondere dann gefährlich, wenn der Hund immer nur in seinem Verhalten gehemmt wird. Was ist, wenn ein fremder Mensch seinen Schlüssel auspackt und Sie kurz nicht aufmerksam sind? Wenn der Hund das Geräusch eines Schlüssels als Auslöser von Angst kennengelernt hat und nicht durch den Halter gehemmt wird, kann es gefährlich für den fremden Menschen werden.
Die Risiken positiver Strafe
Die genannten Strafmaßnahmen sind so, wie ich sie kennenlernen musste, lerntheoretisch als positive Strafe zu verstehen und bergen dieselben Gefahren. Einige dieser Risiken möchte ich nun genauer erklären:
Positive Strafe macht erfinderisch
Hunde haben wie jedes Lebewesen grundlegende Bedürfnisse. Manche Bedürfnisse sollen durch die genannten Strafmaßnahmen unterdrückt werden. Beispielsweise soll der Hund nicht schnüffeln, keine Lebensmittel auf der Straße fressen, nicht jagen und so weiter. Wir können ein Verhalten zwar von außen hemmen, das Bedürfnis im Hund bleibt jedoch bestehen.
Hunde werden daher sehr erfinderisch im Umgang mit ihrem Menschen. Sie achten ganz genau darauf, ob sie beobachtet werden, oder nicht. Wenn ein Bedürfnis sehr stark ist, wird der Hund versuchen ihm nachzugehen sobald er die positive Strafe umgehen kann. Also spätestens dann, wenn kein Mensch mehr in Sicht ist.
Beispiel: Der Hund wird immer gezwickt, wenn er ansetzt, Wild zu hetzen. Wurde erfolgreich positiv gestraft, hetzt der Hund nicht mehr, solange der Mensch auf ihn achtet. Zudem wird er aber von nun an aufmerksam darauf achten, wann der Mensch ihn nicht beachtet, da das Bedürfnis zu hetzen weiterhin besteht. Diesen Augenblick kann der Hund dann nutzen, um jagen zu gehen. Meistens mit Erfolg.
Findet der Hund etwas Fressbares, während der Mensch unaufmerksam ist, sieht man häufig, wie der Hund seine Beute außerhalb der Reichweite des Menschen trägt oder schnell abschluckt, bevor der Mensch sie ihm wegnehmen kann. Unsere Hunde lernen schnell, wie weit sie sich vom Menschen entfernen müssen, um einer den beschriebenen Strafeinwirkungen zu entgehen.
Erlernte Hilflosigkeit
Es gibt auch Hunde, bei denen diese Strafmaßnahmen eine ganz andere Wirkung haben. Es handelt sich um die Hunde, die kapitulieren und mit abgesenktem Kopf und eingezogener Rute neben ihrem Halter vor sich hin trotten. Sie erkunden ihre Umwelt nicht mehr und rechnen in jedem Moment mit der nächsten, häufig unangenehmen, Einwirkung durch den Halter. Diese Hunde zeigen kein Verhalten mehr aus Neugier, sondern nur noch aus Angst. Das mindert nicht nur die Lebensqualität des Hundes massiv , sondern kann durch den chronischen Stress sogar ernsthaft krank machen.
Wie in Teil A bereits erwähnt, kann das unberechenbare Vermischen von Lob und den genannten Strafeinwirkungen erlernte Hilflosigkeit begünstigen. Auch sogenanntes „Stereotypes Verhalten“ kann eine Konsequenz dieses Mischens sein.
Wüssten mehr Menschen um dieses traurige Phänomen, so würden sie manchen „wohlerzogenen Hund“ vielleicht mit ganz anderen Augen sehen.
Abhärtung
Wenn Sie erfolgreich positiv gestraft haben, sollte das Verhalten nach der Strafeinwirkung nicht mehr auftreten. Müssen Sie jedoch immer wieder und immer härter strafen, so hat sich der Hund an Ihre Strafmaßnahme gewöhnt und reagiert nun nicht mehr darauf. Folglich wird die Strafe immer heftiger und der Hund härtet immer mehr gegen jegliche Strafeinwirkungen ab - er gewöhnt sich schlicht daran. Möglicherweise führt es jedoch auch zu starker Frustration oder Angst, was wiederum einen Weg zu Aggressionsverhalten eröffnet.
Bindung und Vertrauen
Eine Bindung besteht, wenn u.a. überwiegend kontaktsuchendes Verhalten zwischen den Bindungspartnern gezeigt wird. Es besteht also der Wunsch nach Kontaktaufnahme und dieser wird auch gezeigt. Zudem ist Vertrauen ein wichtiger Baustein der Bindung.
Strafen Sie Ihren Hund regelmäßig wie beschrieben, so erhalten sie eine zwar Beziehung zu ihm, sie schädigen allerdings das Vertrauen. Eine Beziehung haben Sie zu Ihrem Chef übrigens auch, egal ob Sie ihn mögen oder nicht - eine Arbeitsbeziehung eben.
Jeder Hundebesitzer hat es also selbst in der Hand, welche Art von Beziehung er zu seinem Hund haben möchte. In irgendeiner Beziehung stehen wir immer - eine tiefe Bindung kann allerdings nur entstehen, wenn der Hund uns voll vertraut. Mit genannten Strafeinwirkungen riskieren wir, dieses Vertrauen zu verlieren.
Warum es niemals ganz ohne positive Strafe geht
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass positive Strafe immer ein Bestandteil des Trainings ist. Es genügt häufig auch, dass ich mich über einen Hund beuge, wenn ich ihn streichle, um bei ihm ein unangenehmes Gefühl hervorzurufen. Das passiert. Mit Sicherheit kommt es auch mal vor, dass Sie Ihren Hund versehentlich erschrecken oder ihn über die Leine in seiner Bewegungsfreiheit einschränken. Immer wenn Sie unangenehm auf Ihren Hund einwirken, strafen sie positiv und das lässt sich im Training auch unter optimalen Bedingungen nicht immer vermeiden.
Es gilt, Verhalten, das dem Menschen unerwünscht ist, schnell zu unterbrechen, damit der Hund damit keinen Erfolg hat. Dafür ist es nicht notwendig, den Hund zu erschrecken, zu bedrohen oder zu ängstigen!!
Ich lehne es ausdrücklich ab, ohne Ankündigung positiv zu strafen!! Genau dies wird mit den hier genannten Strafmaßnahmen jedoch getan. Welche negative Konsequenzen das haben kann, wurde bereits zu genüge erläutert.
Abschließendes Fazit
Positive Strafe ist theoretisch ein Instrument um Verhalten zu hemmen, birgt jedoch zu jedem Zeitpunkt das Risiko, dass neue Probleme daraus entstehen.
Warum bemüht man sich also nicht lieber darum, dass der Hund erwünschtes Verhalten häufiger zeigt, in dem man es gezielt positiv verstärkt? Das hat rein gar nichts mit antiautoritärer, „laissez-faire“-Erziehung zu tun. Es ist mir nicht egal, ob mein Hund auf meine Signale hört, oder nicht. Ich sehe mich aber in der Verantwortung ihm eine faire Chance zu geben, diese Dinge nachhaltig zu lernen, ohne dabei seine Gesundheit zu gefährden. Das ist meiner Meinung nach durchaus tierschutzrelevant.
Aus diesen Gründen hat positive Strafe über Angst- und Schreckeinwirkung in meinem Training nichts verloren! Die Risiken möchte ich schlichtweg nicht eingehen und ich kenne wirkungsvollerer Methoden um meinen Hund „wohl zu erziehen“.
Wie diese wirkungsvollen Methoden der positiven Verstärkung funktionieren, erkläre ich gerne in einem persönlichen Training, oder auf einem meiner Vorträge.